Das Kleine Wörterbuch der Streiksprache
Bildung krepiert, weil Dummheit regiertSpruch auf einem Transparent bei der Demo am 4.12. 1997. Mit dieser Losung in Versform wird die Ursache für ein Sterben von Bildung benannt. Neben der Bindung der Aussage an ein regelmäßiges Versmaß, dem Wechsel von betonter und unbetonter Silbe, kommt ein besonderer Effekt durch die parallele syntaktische Form beider Aussagen bei gleichzeitigem Bedeutungsgegensatz zwischen den Subjektrealisationen Bildung und Dummheit zustande. Dummheit steht hier als charakterisierende Ersatzbezeichnung
für die Träger der genannten Eigenschaft, nämlich diejenigen,
die regieren. Die Verwendung des endreimenden Verbs krepieren als
Bezeichnung für das Zugrundegehen von Bildung ist hier stilistisch
markiert. In der allgemeinsprachlichen Bedeutung ist krepieren als
salopp für das Verenden von Tieren oder sogar als derb in bezug auf
Menschen gekennzeichnet (vgl. DUDEN, Großes Wörterbuch in acht
Bänden). Interessant ist die folgende Variation des Spruchs, die auch im Material belegt ist. Hier wird die Ursache-Folge-Beziehung zwischen beiden Aussagen umgekehrt: "Bildung krepiert, damit Dummheit regiert." Die Tatsachenfeststellung, daß die Bildung zugrunde geht, wird im zweiten Teil durch eine Finalbestimmung näher erläutert. Damit wird die ursprüngliche Folge des Regierens von Dummheit (das Sterben der Bildung) als eine bewußt verfolgte Absicht der Regierenden gedeutet. Rückschließend kann daraus der Zusammenhang hergestellt werden, daß die Regierungsfähigkeit der Dummen von diesen selbst erst dadurch gesichert wird, daß die Möglichkeiten für Bildung durch deren politische Entscheidungen bewußt eingeschränkt werden. Dieses Zuschreiben von Intentionen ist eine in der politischen Auseinandersetzung verbreitete Strategie zur Diskreditierung des politischen Gegners oder zur Legitimation und Rechtfertigung von politischen Entscheidungen des eigenen politischen Lagers. Mit diesem Spruch wird gerade die emanzipatorische Funktion von (universitärer) Bildung überhaupt hervorgehoben.
© 1998 |